Stichwort 'Steuern'

Kalte Progression ist kalter Kaffee

Freitag, 12. Dezember 2014 - 22:10

Über das Gesetz zum Abbau der kalten Progression (bis 2013-02-01), http://offenesparlament.de/ablauf/17/41263 und http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/412/41263.html

Finanzbericht 2015 (2014-08-08, S.59), http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Wirtschafts_und_Finanzdaten/Finanzbericht-2015-anl.pdf?__blob=publicationFile&v=2:

[...} Gesetz zum Abbau der kalten Progression

Dieses Gesetz stellt das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum steuerfrei. Bei unverändertem Eingangssteuersatz wird der Grundfreibetrag in zwei Schritten - im Jahr 2013 um 126 € auf 8.130 € und ab dem Jahr 2014 um 224 € auf 8.354 € - erhöht. Eine regelmäßige Überprüfung der Wirkung der kalten Progression im Einkommensteuertarif wird durch die Bundesregierung im Steuerprogressionsbericht alle zwei Jahre stattfinden. [...]

Erster Steuerprogressionsbericht (2014-12-12), https://www.google.de/search?q=%22Erster+Steuerprogressionsbericht%22
 


2014-12-09

Das Thema ist uralt. Mein Verdacht ist, dass es den Bekämpfern der “kalte Progression” in Wirklichkeit um andere Themen oder Effekte geht, die mit kalter Progression nichts zu tun haben.

Matthias Warneke vom Bund der Steuerzahler jammerte im Interview mit tagesschau.de:

[...] Aber die kleineren und mittleren Einkommen werden – relativ gesehen – besonders stark belastet, weil hier die Steigerungen in unserem progressiven Steuertarif am stärksten sind. Das führt dazu, dass jeder Einkommenszuwachs im Bereich bis 30.000 Euro Jahreseinkommen steuerlich besonders stark bestraft wird.

Ein Single, der 30.000 Euro zu versteuern hat, verliert in diesem Jahr rund 215 Euro durch die kalte Progression, das sind 3,5 Prozent. Jemand der 100.000 Euro zu versteuern hat, wird mit 511 Euro zu viel belastet, das sind dann nur noch 1,4 Prozent seiner Steuerlast. Daran zeigt sich, wie ungerecht sich das für die kleineren Einkommen auswirkt. [...]

Den Effekt einer kalten Progression erklärt Warnecke damit nicht.

 
http://de.wikipedia.org/wiki/Kalte_Progression

Kalte Progression ist die Steuermehrbelastung, die im zeitlichen Verlauf entsteht, wenn die Eckwerte des Einkommensteuertarifs nicht an die Preissteigerungsrate angepasst werden. Im weiteren Sinne wird darunter auch die Steuermehrbelastung verstanden, die dann eintritt, wenn die Tarifeckwerte nicht an die durchschnittliche Einkommensentwicklung angepasst werden. Dagegen gehört jene progressive Besteuerung, die lediglich auf die Einkommensunterschiede zwischen den Steuerpflichtigen in ein und demselben Veranlagungszeitraum abzielt, nicht zu diesem Sachverhalt. [...]

 
Die Propagandavereinigung „Initiative Neue Soziele Marktwirtschaft“ verbreitet ihre üblichen Dummheiten (http://www.insm.de/insm/Publikationen/positionen/kalte-progression.html):

[...] Die kalte Progression ist eine schleichende Steuererhöhung, die nicht auf steigende Leistungsfähigkeit zurückgeht und über den inflationsbedingten Einnahmenzuwachs des Staates hinausgeht. Der Fiskus nimmt dadurch real mehr ein. Obwohl das reale Einkommen unverändert bleibt, steigt die Einkommensteuerbelastung an. Der Staat generiert Einnahmen, die ihm gar nicht zustehen. Die kalte Progression ist somit Lohnklau. [...]

 
Das Handelsblatt dagegen ist seriös.
Das Märchen von der kalten Progression, 2010-04-01, Autor: Clemens Fuest
(http://blog.handelsblatt.com/steuerboard/2010/04/12/das-marchen-von-der-kalten-progression/ target=”_blank”):

[...] Grundsätzlich ist es zwar nicht falsch, dass rein inflationsbedingte Lohnerhöhungen in einem progressiven Steuersystem die reale Steuerbelastung steigern. Dieser Effekt ist in der Vergangenheit jedoch immer wieder durch Steuerreformen ausgeglichen worden. Wenn es richtig wäre, dass der Staat sich durch die kalte Progression schleichend einen immer größeren Anteil des Erwirtschafteten einverleibt, dann müsste der Anteil des Einkommensteueraufkommens am Bruttoinlandsprodukt langfristig zunehmen. Das ist jedoch nicht der Fall. [...]

 
OECD enttarnt „Kalte Progression“ als Phantom, 2010-05-12, Joachim Poß
(http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/OECD_enttarnt_„Kalte_Progression“_als_Phantom target=”_blank”):

[...] Der gestern [2010-05-12] veröffentlichte Bericht der OECD zur Steuer- und Abgabenlast von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im internationalen Vergleich hat ein zentrales Thema der steuerpolitischen Debatte in Deutschland endgültig als Phantom entlarvt und ins Reich der Mythen verwiesen: Die sogenannte kalte Progression. [...]

 
Aber als Wahlkampfthema ist das Phantom „Kalte Progression“ natürlich trotzdem für die SPD interessant. Darum beugen die Unionsparteien vor.
(http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/cdu-parteitag-merkel-kalte-progression):

[...] Am Ende gab es für Merkel viele gute Gründe, doch noch einzulenken. Einer davon heißt Sigmar Gabriel. Der SPD-Parteichef hatte sich erst am Montag erneut dafür ausgesprochen, den Abbau der kalten Progression noch in dieser Legislaturperiode anzugehen. Hätte die CDU es nun bei einem vagen Versprechen ohne zeitliche Festlegung belassen, hätte dies schnell zu der Schlagzeile führen können: “SPD und CSU wollen Steuern senken, CDU dagegen”. [...]

 
Im Zusammenhang mit der Progression ist auch diese Nachricht aus der OECD interessant:

In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern. In den 80er und 90er Jahren gehörte das Land zu den eher ausgeglichenen Gesellschaften, inzwischen liegt es nur noch im OECD-Mittelfeld. Das geht aus der Studie „Divided we Stand – Why Ineqality Keeps Rising“ hervor, die heute von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung veröffentlicht wurde. Mit durchschnittlich 57.300 Euro verdienten die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher im Jahr 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent (7400 Euro). In den 90ern lag das Verhältnis noch bei 6 zu 1, der aktuelle OECD-Durchschnitt ist 9 zu 1. [...]